Wenn Aids zum Weckruf wird
Erstellt von Toni | Zu finden unter Alte Meldungen
ENGAGEMENT Dutenhofener Space Party Crew klärt über HIV auf / Devise: Feiern und dabei Spenden sammeln
„Ich dachte mir: Man kann Spaß doch auch damit verbinden, etwas Gutes zu tun.“
Der Startschuss fällt im Jahr 1990, als Deutschland die Wiedervereinigung von Ost und West feiert. Damals hält Weicker noch längst keine Spenden-Checks in die Höhe. Stattdessen folgt er einem Trend, der zur Jugendkultur wird. Techno hat es dem 16-Jährigen und seinen Freunden angetan. In einer Feierlaune fällt der Entschluss, regelmäßig eigene Techno-Parties zu veranstalten, auf denen er auch selbst auflegt. Im Lahn-Dill-Kreis und in Gießen füllte die Gruppe Woche für Woche Locations. Weicker und seine Kumpels tauften sich – passend zum Wortschatz der Szene – Space Party Crew.
„Nachdem das einige Jahre gut lief, wollte ich nicht, dass es einfach stirbt. Dann dachte ich mir: Man kann Spaß doch auch damit verbinden, etwas Gutes zu tun“, beschreibt Weicker seine Gedanken. Bestimmt sind sie damals von der Krankheit seines Bruders, die 1995 festgestellt wird. Das Thema HIV lässt Weicker nicht mehr los. Er will informieren, aufklären und sensibilisieren – gerade auch im Umfeld der Techno-, Club- und Partyszene. 2500 bis 3000 Menschen infizieren sich allein in Deutschland jährlich mit Aids.
„Irgendwann habe ich mir ein Buch mit dem Titel ‚Wie gründe ich einen Verein?‘ gekauft – für 9,80 Mark. Ich hatte schließlich keine Ahnung. Als ich damit rumgelaufen bin, haben mich manche belächelt“, denkt Weicker mit einem Schmunzeln zurück.
Doch die Investition auf dem Buchmarkt zahlt sich aus: Zur Jahrtausendwende gründen der Aßlarer und einige Mitstreiter den Verein – mit dabei ist auch sein Bruder Tom, der damals in Berlin lebt. Beim alten Namen der „Crew“ bleibt es – nur die Worte „against Aids“ kommen hinzu. „So waren wir schließlich in der Region schon bekannt“, erklärt Weicker.
Längst sind die Themen vielfältig: In Sri Lanka haben Weicker und Co. Hütten finanziert
Die Idee ist einfach und dennoch ein Novum: Über Aids wird damals meist geschwiegen – wenn überhaupt beackern andere das Thema nur mit ernster, verstockter Miene. Die Space Party Crew will die Aufklärung über HIV an ein breiteres Publikum tragen. Feiern und dabei Spenden sammeln – so heißt die Devise. Die langjährige Erfahrung auf den Bühnen der Region und die entstandenen Kontakte machen sich die Gründungsmitglieder zunutze. Für Deko, Licht und den Sound ist gesorgt.
Mit 350 Mark fangen Weicker und Co. zunächst an. Schnell wird deutlich, dass die Freunde den Nerv der Zeit getroffen haben. Die Parties werden gut angenommen. „Es gab dann immer wieder neue Ideen, wie wir auf unsere Themen aufmerksam machen können“, sagt der 43-Jährige.
Disco-Parties wie der „Nikolausbeat“ und Dinnerabende machen den Anfang. Filmenächte, Kinderkino, Lesungen oder Public Viewing-Events kommen hinzu. Schließlich macht es die „Crew“ möglich, über eine Reiseagentur den eigenen Urlaub zu buchen und einen Teil des Preises für die gute Sache zu spenden. Unter dem Titel „Spenden, die dich keinen Cent kosten“, ist das gleiche bei bestimmten Online-Einkäufen möglich.
„Viele ältere Leute waren zuerst etwas skeptisch, als wir mit unseren Ideen angekommen sind“, berichtet Weicker. So manch einer ließ sich aber eines Besseren belehren. Bände sprechen die Gesamterlöse, die bis heute auf 108 500 Euro gewachsen sind. Das Projekt wurde bald zum Selbstläufer und beschränkt sich längst nicht mehr nur auf das Thema Aids. Die Space Party Crew unterstützt etwa das Hilfswerk Hope International, das über Patenschaften Kinder in Uganda und Indien betreut. Nach einem Tsunami finanzierte der Dutenhofener Verein mehrere Holzhütten in der Stadt 34 000-Einwohner-Stadt Beruwala in Sri Lanka. „Dort können wir fast eine eigene Straße aufmachen“, sagt Weicker. Auch Hundepatenschaften finden sich auf der langen Liste der Projekte.
Unterstützer hat die „Crew“ im Laufe der Jahre viele angesammelt: 288 Mitglieder und 14 Firmenmitglieder sind es inzwischen. „Es ist trotzdem nicht einfach, Nachwuchs zu finden“, gibt Weicker zu. Selbst möchte er weitermachen –auch für seinen Bruder, der die ersten Jahre noch miterlebte und 2006 verstarb. „Er wäre sicher stolz, was daraus geworden ist“, so der Aßlarer, ehe er lächelnd hinzufügt: „Ohne all das wäre ich mit Sicherheit niemals so ein guter Mensch geworden.“