„Das Leben ist keine Gerade“
Erstellt von Toni
von David Liebscher
Ein leibhaftiger Olympiasieger zu Gast in Münchholzhausen: Michael Groß, der „Albatros“, erzählt aus seinem Leben als Schwimmstar vor und nach seinen drei Goldmedaillen.
„Albatros“ Michael Groß plaudert auf Einladung der „Space Party Crew“ aus dem Nähkästchen.
WETZLAR-MÜNCHHOLZHAUSEN – Wetzlar-Münchholzhausen. 1984 war Michael Groß Deutschlands Schwimm-König. Am Freitagabend hatte der Olympiasieger von Los Angeles zusammen mit der „Space Party Crew“, einem Verein für soziale und gemeinnützige Zwecke, in die Münchholzhäuser Gaststätte „Zur Krone“ geladen. Unter dem Motto „Jeden Tag ein Olympiasieg“ nahm der „Albatros“ die Zuhörer mit auf eine Zeitreise.
Der damals 20-jährige Groß feierte in jenem Jahr seine Premiere bei den Sommerspielen und schnappte sich prompt den Sieg über 200 Meter Freistil und 100 Meter Schmetterling. Vier Jahre später folgte im südkoreanischen Seoul über 200 Meter Schmetterling das dritte Gold beim größten Sportereignis der Welt. Dass zu einem solchen Erfolg mehr gehört, als nur eine bestimmte Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt abzurufen, machte der Offenbacher zu Beginn der Veranstaltung deutlich. „Ohne die kleinen Fortschritte sind die großen Schritte nicht möglich“, stellte er klar und schlug dabei gleichzeitig eine Brücke zu bekannten Alltagssituationen, etwa dem Schulabschluss, die erfolgreich absolvierte Ausbildung oder eben einen sportlichen Triumph.
Sein Olympiasieg diente lediglich als Beispiel, das sich wie ein roter Faden durch den Abend zog. Die eigentliche Botschaft an sein Publikum war, dass jeder mit der nötigen Vorbereitung und Zielsetzung etwas erreichen kann. „Vieles können wir nicht beeinflussen, viele Wege sind fremdbestimmt“, meinte Groß und fügte die Quintessenz an: „Umso wichtiger ist es, mit diesen Gegebenheiten umzugehen und seine Leistung einzubringen. Bei einem Schwimmwettkampf hat jeder der acht Starter pro Rennen nur Einfluss auf seine 12,5 Prozent, nicht aber auf die Leistung der Kontrahenten.“ 38 000 Schwimmkilometer und das Zittern um Olympia
Es entwickelte sich ein Vortrag, der die Motivation innerhalb der einzelnen Lebensabschnitte des Weltklasse-Athleten Groß in den Vordergrund stellte. Der heute 54-Jährige warnte eindringlich davor, stillzustehen, sich stattdessen immer kleinere Ziele vorzunehmen. „Jeder sollte für sich ein ,Zielhaus‘ besitzen, auf das er hinarbeitet“, erzählte er metaphorisch: „Lebensphasen sind die Räume, Abschnitte die Zwischendecken, Ideen die Türen und Fenster.“
Groß plauderte aus dem Nähkästchen. Er erzählte vom immensen Trainingspensum mit insgesamt 38 000 zurückgelegenen Schwimmkilometern, von großen Erfolgen, aber auch von bitteren Niederlagen und dem sich daraus ergebenen Antrieb weiterzumachen. „Rückschläge sind völlig normal“, versicherte er, „doch ist manchmal ein Schritt zurück notwendig, um anschließend zwei Schritte nach vorn zu tätigen.“
Stichwort Verletzungen. Im März 1984 knickte Groß bei einem Waldlauf aufgrund einer Unachtsamkeit mit dem Fuß um, erlitt dabei einen Bänderriss – die Olympiateilnahme stand plötzlich in den Sternen. „Ich habe aus dieser Schwäche eine Stärke gemacht und gelernt, niemals die Konzentration zu vernachlässigen. Egal ob im Training, im Beruf, privat oder vor sportlichen Wettkämpfen.“ Der promovierte Philologe ordnete die Verletzung als einen nötigen „Weckruf“ ein und verzichtete auf eine Operation. Wieder punktete Groß mit einer Anmerkung, die jeder aus dem eigenen Alltag kennt: „Es ist ein unglaublich tolles Gefühl, sich einer großen Herausforderung zu stellen und sich mit Erfolg durchzuboxen.“
Der „Albatros“ rundete den Vortrag mit dem Bild einer geschlängelten Landstraße ab. „Das Leben ist keine Gerade, sondern eine Schlangenlinie“, resümierte er: „Wir sind Gestalter. Die einen schneller, die anderen langsamer. Aber wir gehen voran.“