Tränenreicher Auftritt: Kunze und Reeves über Pflegefamilien
Erstellt von Toni
Tränen kullern, als die TV-Moderatorinnen Janine Kunze und Shary Reeves ihre Erfahrungen als Pflegekinder teilen.
Ein besonderer Abend mit der „Space Party Crew“ in Wetzlar.
Wetzlar. In der Vergangenheit sind es oft Olympiasieger und Weltmeister, die auf Einladung der „Space Party Crew“ von großen Erfolgen berichten.
Doch am Samstag wandert der Verein um den Vorsitzenden Torsten Weicker abseits dieses bewährten Pfades und nimmt sich bei der Benefizveranstaltung eines Themas an, das selten ins Rampenlicht gerückt wird. An diesem Abend braucht es viele Taschentücher, um Tränen auf der Bühne und in den Publikumsreihen zu trocknen.
Erfahrungen als Pflegekind: Janine Kunze und Shary Reeves erzählen
Auf der Bühne im Bürgerhaus Münchholzhausen haben mit Janine Kunze („Heldt“) und Shary Reeves („Wissen macht Ah“) zwei TV-Moderatorinnen und Schauspielerinnen Platz genommen. Beide sind in Pflegefamilien aufgewachsen. Und beide haben ihre Erfahrungen als Buch veröffentlicht.
Einen sehr persönlichen Abend verspricht Moderator Marvin Fischer (YouFM, Maintower). Schon als Torsten Weicker den Abend einläutet, muss nicht nur er mit den Tränen kämpfen.
Dass es eine Veranstaltung ist, bei der Pflegefamilien, deren Ängste und Sorgen, deren Liebe und Zusammenhalt im Fokus stehen, hat viel mit Weickers eigener Geschichte zu tun.
Er lässt die rund 250 Gäste teilhaben an der „schlimmsten Zeit“. An der Enttäuschung, Wut und Trauer darüber, dass trotz medizinischer Hilfe der Kinderwunsch nicht in Erfüllung geht. „Ich war innerlich total kaputt“, erinnert sich Weicker. Bis zu dem Moment, als Jan als Pflegekind in die Familie kommt.
„Space Party Crew“-Vorsitzender Weicker teilt persönliche Familiengeschichte
Als Weicker das Baby zum ersten Mal auf seine Brust legt, sei alles von ihm abgefallen. „Ich habe noch nie so viel geweint. Er hat mir meinen ganzen Schmerz aus der Brust gerissen.“ Seine Pflegekinder – Jan und dessen elf Monate jüngerer Bruder Sven, der ebenfalls von der Familie aufgenommen wird – seien seine ganz persönlichen Stars. „Papa ist stolz auf euch“, sagt Weicker in Richtung seiner beiden Jungs.
„Space Party Crew“-Vorsitzender Torsten Weicker mit seinen Pflegekindern Sven und Jan. Mit seiner persönlichen Geschichte rührt er das Publikum zu Tränen.
Nicht weniger emotional wird es, als Janine Kunze („Geschenkte Wurzeln“) und Shary Reeves („Ich bin nicht farbig“) aus ihren Büchern lesen. Immer wieder halten sie inne, weil Tränen kullern. Es geht um viele Gefühle. Um Dankbarkeit und Liebe gegenüber der Pflegeeltern. Um die Frage, ob man seiner leiblichen Mutter verzeihen kann. Um Wut, Angst, Unsicherheit und ein Gefühl der Ohnmacht.
Die Angst, aus der Pflegefamilie gerissen zu werden
Die Angst und Sorge, ein Pflegekind könne wieder aus der Familie genommen werden, sei immer da, sagt Kunze, die kurz nach der Geburt von ihrer Pflegefamilie aufgenommen wird. So habe sie als Jugendliche nicht geraucht oder sich betrunken, „weil ich so eine Angst hatte, dass ich meiner Familie weggenommen werde“, erinnert sich die heute 50-Jährige. Pflegefamilien müssten „extrem funktionieren, auch im Außen“, sagt Kunze mit Blick auf die häufigen Kontakte mit dem Jugendamt. Kooperativ sein, keine Fehler machen – so zitiert sie ihre Pflegeeltern in ihrem Buch.
Shary Reeves (55) wird aus ihrer Pflegefamilie gerissen. Am Tag ihrer Einschulung. Ihre biologische Mutter bringt sie in ein von Nonnen geführtes Internat. Dort erlebt sie Ausgrenzung und Rassismus. Etwas, dass sie in ihrer kinderreichen, rheinländischen Pflegefamilie nicht kennt. Bedingungslos geliebt worden sei sie von ihrer „Oma“, wie sie ihre Pflegemutter liebevoll nennt. Und ihr „Opa“ habe sie verteidigt, „als wäre ich seine leibliche Tochter“.
„Blut ist dicker als Wasser“ – das ist der dümmste Spruch, den ich kenne.“ Janine KunzeSchauspielerin
Die schweren Phasen in der Kindheit und die Verlustangst, die geblieben ist, mindern jedoch nicht die Dankbarkeit, die die beiden Frauen ihren Pflegefamilien gegenüber verspüren. „‚Blut ist dicker als Wasser’ – das ist der dümmste Spruch, den ich kenne“, meint Janine Kunze, selbst Mutter von drei Kindern. Ein Ausspruch, dem viele im Publikum wohl zustimmen. Denn zahlreiche Pflegefamilien und -kinder sind gekommen, teils aus Nordhessen, Heidelberg und Berlin.
Hessens Sozialministerin Heike Hofmann (SPD) zollt als Schirmherrin des Abends allen Pflegefamilien „größten Respekt“ – für den Mut und die Anstrengung, ein Kind, das Verlust, Unsicherheit und Vernachlässigung erfahren hat, in ihr eigenes Leben aufzunehmen und ihm Liebe, Sicherheit und Vertrauen zu geben.
Olivia Heß